
Respektvoller Frühstart
Nachdem die beiden vorherigen Etappen recht einfach waren, stellt sich mir heute eine wahre Herausforderung. Die Züge für die Rückfahrt von Herdorf nach Siegen fahren stündlich. Dennoch möchte ich nach Möglichkeit den Zug um 15:10 Uhr, spätestens aber um 16:10 Uhr erwischen, da ich am Abend noch gute vier Autostunden für den Weg nach Hause vor mir habe. Mit dem angemessene Respekt vor 30 Kilometern und mehr als 1000 Höhenmetern starte ich am Morgen um 6:00 Uhr in Siegen. Mein Schlafplatz liegt direkt am Fernwanderweg E1, so bin ich gleich in der richtigen Spur.
Der kleinen Straße folge ich für etwas mehr als einem Kilometer entlang der Alche. Als mich die Wandermarkierung anschließend in den Wald führt, absolviere ich gleich schon mal die ersten Höhenmeter des Tages. Die Sonne scheint trotz der frühen Stunde dominant am blauen Himmel. Zum Teil komme ich erneut an großen abgeholzten Flächen vorbei. Mehrere Hinweistafeln beschreiben die zahlreichen Wanderwege die es hier gibt. Mein Fernwanderweg verläuft größtenteils über Wirtschafts- und Schotterwege. Ein kurzes Teilstück jedoch verbindet zwei Wirtschaftswege über einen sehr steilen Trampelpfad durch den Wald. Sehr dankbar bin ich dafür, dass diese Passage nach ein bis 200 Metern abgehakt ist.
Das Sammeln von ersten Höhenmetern endet vorerst auf dem Starken Buberg. Hier oben bietet sich mir zur einen Seite ein Blick auf das Örtchen Seelbach und zur anderen Seite kann man die Siegtalbrücke mit der A45 erkennen. Ein Pumpen- oder Trafohäuschen am Wegesrand auf dem Starken Buberg wurde für den Fernwanderweg E1 besonders schmuckvoll gestaltet.
Ohne nennenswerte Steigungen verläuft die weitere Route im schützenden Schatten des Waldes ein längeres Stück geradeaus. Nach einiger Zeit nimmt das Rauschen der Autobahn allmählich zu, bis ich schließlich auf eine Unterführung zukomme. Durch die Unterführung gelange ich auf die andere Seite der A45. Hier geht es zunächst nach links, parallel der Autobahn leicht aufwärts, dann nahe der Ortschaft Goseberg hart rechts in den Wald. Das Rauschen der Autobahn dauert trotz zunehmender Entfernung noch eine ganze Weile an.
Oberschelden
Obwohl ich mich in einem fast rechten Winkel von der Autobahn entferne, dauert es lange, bis das Rauschen der A45 allmählich verstummt. Nachdem ich über die ungeahnte Reichweite der Auswirkungen unserer geliebten Mobilität nachgedacht habe, blicke ich an einem Waldrand auf eine kleine Ortschaft herab. Oberschelden, die vorerst letzte Siedlung in Nordrhein-Westfalen. Nach dem Abstieg überquere ich In der Talsenke die Hauptstraße, bevor es auf der anderen Seite wieder nach oben geht.
Oben angekommen eröffnet sich ein toller Panoramablick über die zurückgelegte Strecke. Oben am Waldrand angekommen sind es nur noch wenige Schritte bis zum Wanderparkplatz Lurzenbach. Der Parkplatz ist riesig. Zwei bis drei Autos parken hier. Auf einer Sitzbank mache ich eine Rast. Leider ist alles sehr verdreckt. Vor Kurzem wurde direkt neben den beiden Bänken ein Feuer gemacht. Beide Bänke sind von Asche und Ruß überzogen. Abgesehen vom Müll kann ich nicht verstehen wie man in diesem trockenen Wald überhaupt ein Feuer machen kann.
Grenzgebiet zu Rheinland Pfalz
Nach der Pause gehe ich quer über den Parkplatz in den Wald. Mir kommen vereinzelt Leute und sogar eine Joggerin entgegen. Anscheinend ein beliebtes Ausflugsziel. Unter knisternden Hochspannungsleitungen hindurch und vorbei an mehreren Ameisenhaufen erreiche ich das Grenzgebiet zwischen NRW und Rheinland Pfalz. Bevor es die nächsten Kilometer ausschließlich durch dichten Wald geht, bekomme ich noch einen traumhaften Panoramablick auf die Siegtalbrücke (A45) bei Eiserfeld. Im Hintergrund ragt der Funkturm Eisernhardt über das Szenario. Die Landesgrenze nach Rheinland Pfalz überquere ich bewusst auf einer Geraden inmitten einer Waldlichtung. Diesen Moment halte ich auf einem Foto fest, darauf kann man im Hintergrund ein altertümliches Windrad zwischen den Bäumen erkennen. Dieses Windrad hatte ich bereits auf dem Starken Buberg entdeckt.
Auf der Seite von Rheinland Pfalz geht es gefühlt kreuz und quer durch den Wald. Mehrmals verlässt die markierte Route den größeren Weg um auf einen kleineren Nebenpfad zu wechseln. Es geht über den Gibelberg, durch den Gibelwald. Als die Markierung erneut auf einen kleinen Pfad weist, kündigt sich der nächste Abstieg an.
Die Freusburg
Auf dem Weg nach unten kommt mir kein Mensch entgegen, nur das Rascheln der Blätter im Wind und der Gesang der Vögel sind zu hören. Bis ich irgendwann eine entfernte Motorsäge hören kann. Mit der Zeit wird die Säge lauter, begleitet von einem Klopfen und Hacken. Der nächste Ort kündigt sich an, während ich den Weg weiter nach unten gehe. Als die Bäume sich lichten sehe ich auf der rechten Seite auf dem Berg gegenüber mehrere Türme und eine Burg. Die Freusburg. Nach acht Kilometern Wald die erste Zivilisation seit Oberschelden. Unterhalb von mir sind durch die Bäume hindurch die Dächer der ersten Häuser zu erkennen. Es ist die erste Ortschaft in Rheinland Pfalz. Beim Anblick der Burg, wie sie auf dem Berg gegenüber thront, wird mir bewusst, dass ich da drüben wohl gleich wieder hoch muss.
Unten angekommen gehe ich an ein paar Häusern vorbei, anschließend an einer Kreuzung nach rechts auf die Bergstraße. Nach wenigen Metern führt der markierte Wanderweg von der Straße ab auf einen steilen Trampelpfad den Berg hoch. Oben führt die Markierung weiter auf den Wasenweg. Zwischen Fachwerkhäusern führt diese Straße den Berg weiter nach oben. Der Wasenweg endet an einer Kreuzung. An einem Parkplatz befinden sich Informationstafeln zum Druidensteig.
Zur Burg geht es über die Kreuzung weiter geradeaus. Die Markierung für den Fernwanderweg E1 hat mich hier zunächst verwirrt. Grund dafür ist, dass der Fernwanderweg E1 der Markierung [X11] nicht weiter folgt, sondern ab hier separat mit einem blauen Schild ausgezeichnet ist. Zudem führt die offizielle Route des Fernwanderweg E1 gar nicht zur Burg hoch. Dennoch entscheide ich mich die letzten Höhenmeter bis zur Burg dennoch zu gehen. „Wenn ich doch schon mal hier bin, dann will ich auch die Burg sehen".
Der kleine Umweg lohnt sich auf jeden Fall. Der Ort Freusburg ist wunderschön! Alte Häuser, zum Teil mit Türmen ausgestattet, säumen den Weg bis hoch zur Burg. Insgesamt wirkt der ganze Ort wie eine einzige mittelalterliche Burganlage. Vor der Burg befindet sich eine hohe Mauer, an der unter anderem auch eine Wegmarkierung für den Fernwanderweg E1 angebracht ist. Links und rechts endet die Mauer an zwei steinernden Torbögen.
Durch den linken Torbogen gehe ich und gelange schließlich zur Burg. In der Freusburg befindet sich eine Jugendherberge, dennoch treffe ich an der Burg wegen der aktuellen Corona-Situation auf keine Menschen. Ich gehe um einen alten Turm und eine verfallende Mauer herum und erreiche von hinten das Burggebäude der Jugendherberge. Nach ein paar Fotos mache ich mich auf den Weg zurück zur Kreuzung.
Wieder unten an der Kreuzung angekommen gehe ich nach rechts auf die Burgstraße. An der nächsten Weggabelung habe ich erneut Schwierigkeiten den Verlauf des Fernwanderweg E1 eindeutig zu identifizieren. Es führen zwei Wege scheinbar parallel nach unten ins Tal. Eine Straße (Bergstraße) und daneben ein Pfad (Hohlweg). Trotz intensiver Suche ist die Markierung hier leider nicht eindeutig. Man kann auf der Burgstraße auch geradeaus gehen. Da ich weiß, dass ich wieder nach unten ins Tal muss, fällt meine Wahl auf die Straße nach unten (Bergstraße) . Nach ein paar Schritten entscheide ich mich dann aber doch für den „grüneren“ Fußweg und gehe den Hohlweg nach unten. Im Nachhinein kann ich sagen "Zum Glück", denn die Bergstraße wäre ein Umweg gewesen. Über den Hohlweg erreiche ich im Tal den Backhausweg. Dieser führt parallel zur stark befahrenen B62 aus dem Ort heraus und mündet nach einigen hundert Metern auf dieser.
Freusburgermühle
Nach Verlassen von Freusburg macht die B62 eine langgezogene Linkskurve. Auf einem Fußweg hinter der Leitplanke entlang der rechten Seite entdecke ich die Markierung des Fernwanderweg E1. Ich bin wieder in der Spur. Hinter der Kurve führt der Wanderweg nach links runter von der B62 auf eine Brücke über die Sieg zur Freusburger Mühle.
Sowohl die Brücke als auch die Freusburger Mühle bieten interessante Fotomotive. Auf der Brücke sind zwei Bronze-Figuren installiert. Beim Industriedenkmal "Freusburger Mühle" handelt es sich um eine Kornmühle aus dem 15. Jahrhundert die mit der Wasserkraft der Sieg betrieben wurde.
Der Fernwanderweg E1 verläuft über das Gelände der Freusburger Mühle
Der nächste Wegweiser direkt hinter der Freusburger Mühle ist total verbogen. Nur mit Mühe ist der korrekte Weg zu erahnen. Es geht auf einer kleinen Straße aus der Siedlung heraus den Berg hoch. Oberhalb des Siegtals verläuft der Wanderweg durch Feld- und Waldgebiet stetig bergauf. Vorbei an einem Holzsitz, einem Insektenhotel, einem Friedhof durchquere ich den oberen Ortsteil von Kirchen. Nach einem weiteren Waldstück erreiche ich Herkersdorf. Die Sonne scheint kräftig, meine Wasserreserven neigen sich dem Ende. Eine Gaststätte am oberen Ortsrand ist leider geschlossen. An der Hauptstraße geht es zum Ortszentrum von Herkersdorf runter ins Tal. Die Heilig-Kreuz-Kirche fällt von bereits oben sofort ins Auge.
Das Kreuz mit dem Kreuzweg
Im Tal an der Heilig-Kreuz-Kirche angekommen startet gleich der nächste Aufstieg. Hier beginnt der historische Kreuzweg zum Druidenstein. Inzwischen wird mein Wasser knapp, die Sonne brennt und der Kreuzweg macht seinem Namen alle Ehre. Er kennt nur eine Richtung ... nach oben.
(von links nach rechts: Heilig-Kreuz-Kirche in Herkersdorf; Glockenturm neben der Heilig-Kreuz-Kirche; Brunnen am Glockenturm; eine von 14 Stationen des Kreuzwegs)
Vorbei an diversen Stationen endet der Kreuzweg oben am Druidenstein. Ein beeindruckender Basaltkegel der auf einen vulkanischen Ursprung hinweist. Am Druidenstein befindet sich eine kleine Hütte, offensichtlich mit Ausschank. Einige Menschen sitzen dort an Tischen oder stehen am Eingang der Hütte. Da ich keine Schilder sehe, bin ich unsicher, ob ein öffentlicher Verkauf stattfindet oder eine geschlossene Gesellschaft hier feiert. Ich setze daher meinen Weg ohne Stopp fort.Über einen breiten Weg geht es noch ein Stück den Berg hoch und dann wieder in den Wald. Zu meiner Verwunderung befindet sich hier oben sogar ein Sportplatz.
Die nächsten Kilometer befinde ich mich überwiegend im Wald. Oder das, was davon noch übrig ist. Ich empfinde den Zusatnd der Fichtenbestände als erschreckend und zutiefst traurig. Ganze Berge sind vollständig abgestorben. Die Wege durch die braunen Fichtenwälder fühlen sich an wie "über Matratzen laufen". Unter meinen Schuhen liegen die abgestorbenen Fichtennadeln stellenweise mehrere Zentimeter hoch und dämpfen jeden Schritt merkwürdig ab.
Herdorf
Auf den letzten Kilometer vor Herdorf steigt meine Zuversicht den früheren Zug doch noch erreichen zu können. An einer Lichtung habe ich vom Berg herab einen Blick auf Herdorf - "so weit ist es ja gar nicht mehr". Zunächst laufe ich dann auch noch auf einem falschen Weg nach unten. Zum Glück bemerke ich das schnell und muss so nur ein paar Meter wieder hinaufgehen. Der Abstieg nach Herdorf zieht sich dann doch noch, aber letztendlich schaffe ich es rechtzeitig zum Bahnhof. Dort angekommen muss ich feststellen, dass es keinen Fahrkartenautomaten gibt. Auf den letzten Drücker gelingt es mir, mit dem Handy ein Online-Konto bei der Bahn einzurichten und darüber eine Fahrkarte zu buchen. Auf die Minute genau!

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